Pädagogische Fachzeitschriften 2006

Ganztagsschule zwischen bildungspolitischer Vision und sozialen Akzeptanzproblemen

Die PISA Studie wirft ein schlechtes Licht auf die Qualität österreichischer UND deutscher Bildungsanstalten. Die Schulen schneiden im Vergleich zu anderen Ländern mit Ganztagsschulformen eindeutig schlechter ab. Die Resultate dieser Studie, die über die erlernten Fähigkeiten der Schülerinnen und Schüler im Laufe Ihrer verpflichtend absolvierenden Schulzeit informieren sollen, schließen auf verbesserungswürdige Schulformen sowohl in Österreich als auch in Deutschland. Die politischen Maßnahmen zur Verbesserung und zum Ausbau der Schulformen wurden vorerst von der österreichischen Bevölkerung nur wenig angenommen. Erst nach einem weiteren durchaus gravierenden Misserfolg in der 2. PISA Studie 2004 findet ein Umdenken statt. Die Reformierung unserer Schulen würde einerseits das Qualitätsniveau heben, um mit internationalen Vergleichen mithalten zu können, andererseits würden faire Möglichkeiten für alle Schülerinnen und Schüler aus allen Gesellschaftsschichten geschaffen werden. Unser Nachbarland Deutschland – als Vorreiter in der Umsetzung – hat sich bereits ein Ziel geschaffen und viel Geld für die Durchführung der Erweiterung des Ganztagsschulbereiches eingesetzt (vgl. Obergrießnig & Popp 2005, S. 635f).

Die Diskussionen von Fachleuten im Bildungs- und Erziehungsbereich in Deutschland liefern viele positive Argumente für die Errichtung von Ganztagsschulen. Festzustellen ist, wie die Betroffenen selbst, vor allem die Eltern von Pflichtschulkindern, dazu Stellung nehmen. In Österreich befragte man daher Eltern in Kärnten, um herauszufinden, inwieweit Ganztagsschulen in den Familien angenommen werden. Da zahlenmäßige Umfragen bezüglich „pro und contra Ganztagsschule“ bereits durch verschiedene Einrichtungen stattfanden, legte man den Schwerpunkt der Befragungen in Kärnten darauf, wie die Hintergründe der Eltern in Bezug auf Ganztagsschulen aussehen. Der Teilnehmerkreis dieser Umfrage umfasste sowohl alleinerziehende, berufstätige Mütter als auch Mütter, die nicht berufstätig sind (vgl. Obergrießnig & Popp 2005, S. 637f).

Ergebnisse

Etwa ein Drittel der Befragten äußerte sich besonders positiv und argumentierte mit Entlastung der Eltern, besser Chance auf einen Gemeinschaftsverbund unter den Schülerinnen und Schülern, Betreuung für sogenannte Schlüsselkinder, Einschränkung der Fernsehaktivität unter den Kindern, Schaffung von Arbeitsplätzen für Lehrer und Erzieher und bessere Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Weiters erwähnen Befürworter die Angebote der Ganztagsschule besonders lobenswert, da die Kinder schulische Aufgaben, die sonst in den Privatbereich fallen würden, bereits in der Schule machen und die Zeit außerhalb der Schule ganz der Familie gehört (vgl. Obergrießnig & Popp, 2005, S. 638f).

Etwas weniger als die Hälfte der befragten Eltern sprachen sich teils für, teils gegen die Ganztagsschule aus. Es bestehen Bedenken, dass die Erziehung immer mehr außerhalb der Familie stattfinden könnte und quasi die Kinder und somit auch die Verantwortung an die Schule abgeschoben werden.  Diese Bedenken äußern auch die restlichen Teilnehmer der Umfrage, die sich gar nicht vorstellen können, dass eine Ganztagsschule für ihre Kinder nötig sei. Es wird befürchtet, dass die Kinder noch mehr leisten müssen und mehr gefordert, dagegen weniger gefördert werden. Die eigene Familie wird für ‚heilig’ befunden und sie könnte Gefahr laufen kaputt zu gehen. Insgesamt stehen die negativen Meinungen eng in Zusammenhang mit unzureichenden Erfahrungen und Informationen über Ganztagsschulen (vgl. Obergrießnig & Popp 2005, S. 640ff).

Das Resümee dieser Umfrage ist, dass die meisten befragten Personen und daraus folgernd die Öffentlichkeit noch zu wenig über Ganztagsschulen informiert sind und daher nicht die Vorteile und die Notwendigkeit der Schaffung von Ganztagsschulen erkennen können. Die Politik hat die Verantwortung, den Eltern das nötige Wissen zu vermitteln und die stark verbreiteten Bedenken und Ängste gegenüber dieser in Österreich noch wenig anerkannten Bildungsform zu nehmen. Das Lernen in der Schule findet in Ganztagsschulen nicht nur als Lernen im Sinne des Lehrplans, durchaus auch im Sinne von „Vermittlung von Lernprinzipien für die Wissensgesellschaft“ statt. (vgl. Obergrießnig & Popp 2005, S. 640ff)

Siehe auch Unsere Kinder brauchen eine qualitativ hochwertige ganztägige Betreuung

Quelle

Obergrießnig, Andrea & Popp, Ulrike (2005). Ganztagsschule zwischen bildungspolitischer Vision und sozialen Akzeptanzproblemen. Ergebnisse einer empirischen Untersuchung mit Eltern aus Kärnten. Erziehung & Unterricht, 155. Jahrgang, S. 635-647.


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