Pädagogische Fachzeitschriften 2006

 

Warum sind Lehren und Lernen so schwierig? 

„1. Informationsverarbeitung – ein falsches Konzept“ (Roth 2004, S. 496). 

Bei dem Konzept der Informationsverarbeitung wird das Lernen nur als Verarbeitung und Abspeichern des angebotenen Wissens angesehen. Roth stellt dem zwei Behauptungen gegenüber: „(1) Wissen kann nicht übertragen werden; es muss im Gehirn eines jeden Lernenden neu geschaffen werden. (2) Wissensaneignung beruht auf Rahmenbedingungen und wird durch Faktoren gesteuert, die unbewusst ablaufen und deshalb nur schwer beeinflussbar sind“ (Roth 2004, S. 497). 

„2. Die Konstruktion von Bedeutung“ (Roth 2004, S. 497). 

Spricht jemand zu uns, gelangen Schalldruckwellen in unser Ohr und werden als Nervenimpulse im Gehirn als menschliche Sprache identifiziert. Die Schalldruckwellen werden dann in die Hirnzentren gelenkt wo sie mit Inhalten des Sprachgedächtnisses verglichen werden. Weiters werden die bereits vorhandenen Bedeutungen so aktiviert oder neu zusammengestellt, dass sie den größtmöglichen Sinn ergeben. All das passiert unbewusst und hochautomatisch. Es muss also ein bestimmtes Vorwissen und Bedeutungskontexte vorhanden sein um Laute oder Zeichen entschlüsseln zu können. 

„3. Das limbische System“ (Roth 2004, S. 498). 

Das limbische System ist eine Funktionseinheit des Gehirns, das jede Situation prüft, ob diese bereits bekannt ist, einer früheren sehr ähnelt und welche Erfahrungen wir damit gemacht haben. Ebenso entscheidet es über den Lernerfolg, indem es bei jeder Lernsituation fragt, was dafür spricht, dass Hinhören, Lernen oder Üben sich tatsächliche lohnen. Erst wenn dieses System zu einem positiven Ergebnis kommt, kann neues Wissen entstehen. 

„4. Faktoren, die beim Lehren und Lernen eine wichtige Rolle spielen“

(Roth 2004, S. 500).  

„4.1 Die Motiviertheit und Glaubhaftigkeit des Lehrenden“ (Roth 2004, S. 500). 

Das Gehirn des Schülers stellt durch eine Analyse des Gesichtsausdruckes, der Tonung  der Stimme und der Körperhaltung unbewusst fest, ob der Lehrer motiviert ist, seinen Stoff beherrscht und sich mit dem Gesagten identifiziert. Werden diese Kriterien vom Lehrer nicht erfüllt, ist dass eine direkte Aufforderung für das Gehirn des Schülers zum Weghören.

„4.2 Die individuellen kognitiven und emotionalen Lernvoraussetzungen der Schüler“ (Roth 2004, S. 502). 

Bei jedem Menschen gibt es Unterschiede in der Gedächtnisleistung. Diese können durch Eselsbrücken verbessern werden, indem man Gedächtnisleistungen in denen man gut ist (z.B. bildliche Vorstellungskraft) mit solchen koppelt, in denen man schlecht ist (z.B. Zahlengedächtnis). So verbindet man Ziffern und Bilder, um sich Zahlenkombinationen leichter merken zu können. Es gibt auch Unterschiede in spezifischen Lernbegabungen und Lernstilen, die genetisch bedingt sind. Aufgrund dessen sollte sich ein Lehrer bemühen einen bestimmten Stoff vielseitig zu präsentieren, z.B. sowohl sprachlich als auch bildhaft-anschaulich und schließlich in Frage und Antwort, um zumindest die Haupttypen des Lernens anzusprechen.

Es gibt aber auch Einflüsse auf den Lernerfolg die vorgeburtlich oder frühkindlich festgelegt werden. Dieses System bildet sich in der frühen Mutter-Kind-Beziehung aus und bestimmt die allgemeine Fähigkeit, Dinge und Geschehnisse der Umwelt in ihrer Bedeutung zu erfassen. Es ermöglicht dem Säugling und Kleinkind, die Gefühle der Mutter zu deuten um danach das eigene Ich, die Grundzüge sozialer Interaktion und das Einfühlungsvermögen zu entwickeln. 

„4.3 Die allgemeine Motiviertheit und Lernbereitschaft der Schüler“

 (Roth 2004, S. 503). 

Das limbische System im Gehirn prüft vor jeder Situation, ob das verlangte Verhalten Belohnung verspricht. Deshalb muss vor Lernbeginn, der Grund, warum man einen Stoff lernt, geklärt werden.

Anregender, leichter Stress ist generell förderlich, weil im Gehirn Noradrenalin ausgeschüttet wird und dies in geringen Dosen allgemein aufnahmebereiter macht. Lernen soll also als positive Anstrengung empfunden werden. 

„4.4 Die spezielle Motiviertheit der Schüler für einen bestimmten Stoff, Vorwissen und der aktuelle emotionale Zustand“ (Roth 2004, S. 504). 

Die Intensität des emotionalen Zustandes, den der Schüler als Interesse, Begeisterung, Gefesseltheit empfindet, wirkt sich positiv auf die Gedächtnisleistung aus.

Das Wissensgedächtnis hat mehrere Module bzw. Schubladen, die unabhängig voneinander abreiten, aber miteinander verbunden sind. In je mehr Gedächtnis-Schubladen ein Inhalt abgelegt wurde, desto besser ist die Erinnerbarkeit daran. Weiters bleibt der Inhalt umso besser haften, je mehr Wissensinhalte bereits in den einzelnen Schubladen sind. Deshalb ist es ratsam Dinge im ersten Schritt anschaulich und alltagsnah darzustellen.

Beim bloßen Auswendiglernen bzw. Pauken werden Gedächtnisnetzwerke durch ständige Wiederholung von Inhalten ausgebildet. Das funktioniert auch wenn kein Lerninteresse oder Vorwissen vorhanden ist. Ein großer Nachteil jedoch ist, dass das Pauken kein semantisches Lernen ist, d.h. man hat die Bedeutung des Inhaltes nicht erfasst und kann somit nicht mit ihm weiterarbeiten. 

„4.5 Der spezifische Lehr- und Lernkontext“ (Roth 2004, S. 505). 

Auch der Kontext, also wer den Lerninhalt vermittelt, wann und wo das Lernen stattfindet, ist für den Lernerfolg von großer Bedeutung. Dementsprechend kann auch der Lernkontext (Person, Zeit, Ort) förderlich oder hinderlich für das Abrufen des Wissensinhaltes sein. 

„5. Abschließende Betrachtung“ (Roth 2004, S. 505) 

Letztendlich lässt sich zusammenfassen, „dass wir keinen direkten, willentlichen Einfluss auf den Lernerfolg haben, weder auf den eigenen noch den unserer Schüler, sondern jede Einflussmöglichkeit geht nur über die Beeinflussung der Rahmenbedingungen des Lehrens und Lernens“ (Roth 2004, S. 505 – 506).

Quelle

Roth, Gerhard (2004). Warum sind Lehren und Lernen so schwierig? Zeitschrift für Pädagogik, 50. Jahrgang 2004, S. 496 – 506.


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