1.1 Einführung
„Die Lehrernominierung ist eines der wichtigsten Verfahren zur Identifikation von Kandidaten für Begabtenförderprogramme“ (Neber, 2004, S.24). Da die Lehrer und Lehrerinnennominierung aber nicht nur ein wichtiges, sondern auch ein heftig diskutiertes Verfahren zur Identifikation von Hochbegabten ist, wurde in Deutschland am Beispiel der Nominierungen für die deutsche Schülerakademie eine Forschungsstudie durchgeführt (vgl. Neber, 2004, S24ff).
Für die Untersuchung die über die Qualität von Lehrer und Lehrerinnennominierungen zur Deutschen Schülerakademie informieren sollte, wurden folgende 4 Forschungsfragen herangezogen (vgl. Neber, 2004, S.27):
1. Welche Schülerinnen und Schüler werden durch Lehrkräfte nominiert?
2. Sind Lehrkräfte zu genaueren diagnostischen Differenzierungen zwischen potenziell geeigneten Teilnahmekandidaten in der Lage?
3. Wie schneiden Lehrernominierungen und Lehrerbeurteilungen im Vergleich zu Selbstbeurteilungen der Schülerinnen und Schüler ab?
4. Wodurch werden Nominierungsentscheidungen von Lehrkräften und Teilnahmebereitschaft von Schülerinnen und Schülern determiniert?
„Die Fragestellungen wurden im Rahmen einer virtuellen Nominierungsstudie mit 29 Lehrerinnen und Lehrern an 21 deutschen Gymnasien untersucht.“ (Neber, 2004, S.28) Die in der ersten Phase vorgeschlagenen Schülerinnen und Schüler wurden in der zweiten Phase auf kognitive, motivationale und sozial-kommunikative Merkmale untersucht. In der dritten Phase wurden sie nach Beurteilung ihrer kognitiven, motivationalen und sozial-kommunikativen Charakteristika von den Lehrerinnen und Lehrern endgültig nominiert bzw. nicht nominiert (vgl. Neber, 2004, S28).
Das Ergebnis der Studie war, dass in Phase eins Schülerinnen und Schüler nominiert wurden, deren kognitive Fähigkeiten nur gering über dem Mittelwert ihrer Jahrgangsstufe lagen, insbesondere in den vom schulfachspezifisch wenig abhängigen nonverbalen Fähigkeiten. In Phase drei unterschieden sich die kognitiven Fähigkeiten zwischen nominierten und nicht nominierten aber signifikant, was die Effektivität der Lehrer und Lehrerinnenentscheidungen bestätigt. Im Gegensatz dazu waren die Begabungsdiagnosen der Lehrkräfte schwach, da sie nur die Hälfte der nach dem KFT (Kognitiver Fähigkeitstest) - Kriterium als hochbegabt geltenden identifizieren konnten (vgl. Neber, 2004, S30ff).
Selbstevaluierung ist kein geeignetes Auswahlverfahren, das bestätigt der Vergleich zwischen Lehrernominierung und Selbstevaluierung indem alle Hochbegabten nominiert wurden, sich aber bei weitem nicht alle selbst dafür entschieden hätten. Als weiteres Ergebnis der Studie lässt sich festhalten, dass kognitive Fähigkeiten als alleinige Determinante für Nominierungsentscheidungen nicht ausreichen. Die motivationalen, sozialen und kommunikativen Begabungen der Schülerinnen und Schüler müssen mitberücksichtigt werden (vgl. Neber, 2004, S30ff).
Das Resümee der Studie lässt sich wie folgt beschreiben: „Nominierungsentscheidungen, die wie in dieser Studie durch qualifizierte Lehrkräfte erfolgen, können daher bei der Identifikation von Teilnehmern nicht nur herangezogen werden sondern sollten dies auch. Für die Qualität der Identifikationsleistungen dieser Lehrkräfte spricht auch, dass sich das Schulleistungsniveau nicht als ausschlaggebende Determinante der Auswahlentscheidungen nachweisen lies“ (Heinz Neber, 2004, S37).
Die Deutsche Schülerakademie fördert hochbegabte Gymnasiasten der Oberstufe in Ferienkursen. Lehrkräfte wählen ca. 80 % der in Frage kommenden Teilnehmer aus. Diese Nominierungen wurden auf Effektivität und Effizienz untersucht. Effektivität misst den Anteil der Identifizierung tatsächlich als hochbegabt einzustufender SchülerInnen. Effizienz entspricht dem Anteil der Hochbegabten an der Menge der von den Lehrern Nominierten (S. 25).
Es wurden vier Fragen formuliert, deren Beantwortung Aufschluss über die Nominierungsqualität geben sollten: „Welche Schülerinnen und Schüler werden durch Lehrkräfte nominiert? Sind Lehrkräfte zu genaueren diagnostischen Differenzierungen zwischen potenziell geeigneten Teilnahmekandidaten in der Lage? Wie schneiden Lehrernominierungen und Lehrerbeurteilungen im Vergleich zu Selbstbeurteilung der Schüler ab? Wodurch werden Nominierungsentscheidungen von Lehrkräften und die Teilnahmebereitschaft von Schülern determiniert?“ (S. 27)
An der virtuellen Nominierungsstudie nahmen 29 LehrerInnen an 21 Gymnasien in Deutschland teil. Es wurden drei Studienphasen durchlaufen. In der ersten Phase nannten die Lehrkräfte alle für sie geeigneten Schüler der 10. bis 12. Jahrgangsstufe ohne weitere Einschränkungen. 218 Schüler wurden vorgeschlagen. In der zweiten Phase wurden diese nominierten Schüler einem psychologischen Test unterzogen und beantworteten Fragen zu ihrem Begabungsniveau und zu ihrer Bereitschaft an der Schülerakademie teilzunehmen. Die Lehrkräfte beurteilten das Begabungs- und Schulleistungsniveau. In der dritten Phase trafen die LehrerInnen die Entscheidung welche der SchülerInnen nun tatsächlich nominiert wurden. Es wurden von den ursprünglich genannten 151 tatsächlich ausgewählt (S. 28).
Es wurden SchülerInnen nominiert, deren kognitive Fähigkeiten etwa dem Mittelwert vergleichbarer Gymnasiasten entsprechen und deren motivationale, lernstrategische und sozial-kommunikative Eigenschaften mindestens dem Standard früherer Akademieteilnehmer entsprachen (S. 30). Die Nominierungsentscheidungen waren sehr effektiv. Es wurden alle Schüler aus den ursprünglich Vorgeschlagenen gefunden, die ihrem Testergebnis nach als hochbegabt einzustufen waren. Die Effizienz der Nominierungsentscheidung war gering. Die wenigsten der genannten Schüler erfüllten die Kriterien für Hochbegabung im Test nicht. Die Begabungsdiagnosen waren nicht sehr effektiv. Die Hälfte der Hochbegabten wurde nicht diagnostiziert. Auch die Effizienz war in diesem Bereich sehr schwach (S. 33). Neber hebt hervor, dass ein Zusammenhang zwischen Leistungsniveau (Gesamtnote) und Nominierung nicht nachgewiesen werden konnte (S. 35).
Diskussion
Neber empfiehlt die Einbindung qualifizierter Lehrkräfte in die Talentfindung. Dabei regt der Autor eine Verbesserung der Lehrer-Schüler-Kommunikation an, damit auch die akademiebezogene Selbstwirksamkeit und die Teilnahmebereitschaft an der Akademie in die Entscheidungen einfließen können (S. 37).
Neber, H. (2004). Lehrernominierungen für ein Enrichment-Programm als Beispiel für die Talentsuche in der gymnasialen Oberstufe. Psychologie in Erziehung und Unterricht, 51, 24-39.