Ulf Preuss-Lausitz
„Aktiv gegen Gewalt“
Deutschen Forschungsberichten (Schwind, 1990; Holtappels, 1997; Martin, 1999; Melzer, 2004 u.a.) zufolge, welche sich sowohl auf empirische als auch auf vergleichende Studien stützen, kann man kein explizites Ansteigen von Gewalt unter Kindern nachweisen (vgl. Ulf Preuss-Lausitz 2006, S. 47).
„Unstrittig ist, dass Gewalt eher in Sonder-, Haupt- und Gesamtschulen und körperliche Gewalt eher bei Jungen zu beobachten ist“ (Ulf Preuss-Lausitz 2006, S. 47).
„Aktiv gegen Gewalt“, so nennt sich ein Präventionsprojekt einer Berliner Gesamtschule mit gewaltreduzierenden Maßnahmen (siehe nachfolgend), welches vor allem auf die Einbeziehung der SchülerInnen selbst abzielt und somit weniger den Eindruck vermittelt, von außen auf das System, sondern von innen auf die Entwicklung des Schulalltages zu wirken (vgl. Ulf Preuss-Lausitz 2006, S. 48) .
Streitschlichter
Ausbildungsprogramm für 20 SchülerInnen, die freiwillig für die Streitschlichtung der jeweils jüngeren Jahrgänge zuständig sind und Patenschaften für Klassen übernehmen können.
Konfliktschlichter
Mit einem Ausweis gekennzeichnet greifen ältere SchülerInnen hauptsächlich bei Streitereien am Schulhof ein.
Schülerbegleiter
SchülerInnen ab der 7. Schulstufe begleiten die Kinder auf dem Schulweg.
Clearingstelle
Sog. „Clearing-Lehrer“ reflektieren mit aus dem Unterricht verwiesen SchülerInnen die vorangegangenen Vorfälle.
Coolness-Training
Jugendliche, die durch Konflikte Aufsehen erregen, werden durch erwachsene Trainer nach den Ursachen und Auswirkungen ihres Verhaltens befragt. Man erwartet sich dadurch mehr Ruhe und Eigenreflexion. Diese Maßnahme wurde nicht in die Evaluierung einbezogen, da sie vorübergehend ausgesetzt wurde (vgl. Ulf Preuss-Lausitz 2006, S. 48
„Opfer“ „Täter“ „Opfer-Täter“ „Unbeteiligte“
In Anlehnung an Jugert (2000) und Kratzmeier/Schneider (2003) wurden entsprechend den oben genannten Kategorien vier Gruppen gebildet. Zusammenfassend kam man zu folgenden Ergebnis (vgl. Ulf Preuss-Lausitz 2006, S. 52):
Ca. 10 20 % der Kinder sind als „Opfer“, ein etwa gleich hoher Anteil als „Täter“ einzustufen, auf die „Unbeteiligten“ fällt ein Anteil von 11 %. Rund 60 % der Kinder sind in einer „Opfer-Täter“-Rolle wiederzufinden (in diese Einteilung wurden auch Drohungen, Beleidigungen und Mobbing miteinbezogen) (vgl. Ulf Preuss-Lausitz 2006, S. 52) .
„Opfer“ haben ein geringeres Vertrauen zu Bezugspersonen, häufiger das Gefühl von Angst und sind unzufriedener und pessimistischer im Hinblick auf ihr späteres Leben. Sie kommen häufiger aus „Problemfamilien“ und sind einer höheren Wahrscheinlichkeit des Borderline-Syndromes ausgesetzt. Die besten Ergebnisse erreichte die Gruppe der „Unbeteiligten“. Schul-, Klassen- und Lehrerzufriedenheit sind am höchsten, das familiäre Umfeld durchwegs positiv. „Täter“ nehmen eine „Mittelstellung“ ein, neigen eher zu Fehlstunden und haben zuhause weniger Bücher als „Opfer“ und „Unbeteiligte“ (vgl. Ulf Preuss-Lausitz 2006, S. 54 f).
Eine Selbsteinschätzung zeigte den hohen Stellenwert der Gesprächskultur unter den Jugendlichen. Nahezu 70 % sind der Ansicht, dass zu viele „gemeine“ Wörter gesagt werden. Bis zu einem Drittel der SchülerInnen fühlen sich durch Lehrpersonen herabgesetzt und belästigt (vgl. Ulf Preuss-Lausitz 2006, S. 56).
Bei der Evaluierung des Projektes waren nahezu 90 % über die positiven Auswirkungen der Maßnahmen überzeugt (vor allem die Gruppen „Opfer“ und „Unbeteiligte“). Lediglich die Einrichtung der Clearingstelle wurde widersprüchlich bewertet (vgl. Ulf Preuss-Lausitz 2006, S. 58)
Bei den Schülervorschlägen zur Verringerung von Gewalt kam man zu folgendem Ergebnis: Dem Wunsch nach Strafe (43 % der Jugendlichen) als Spitzenreiter steht das Einführen von Regeln (3 % der Jugendlichen) als Schlusslicht gegenüber (vgl. Ulf Preuss-Lausitz 2006, S. 58).
Offene Fragen:
Gibt es empirische Daten zur Auswirkung von Fernsehen auf die Gewaltbereitschaft? (Mehr Bücher „Abenteuer im Kopf“; mehr Fernsehen höhere Fremdsteuerung?).
Interessant war für mich auch, dass die Jugendlichen selbst „strafende“ Sanktionen in den Vordergrund stellen. Ich denke, es wäre durchaus legitim ein „Belohnungssystem“ für soziales Verhalten anzudenken.
Die Schulzufriedenheit und das Vertrauen zu den Lehrern konnte gesteigert werden, der sprachliche Umgang untereinander und im Bezug auf die Lehrer ist allerdings noch erheblichen Belastungen ausgesetzt. Es wäre zu begrüßen, wenn künftig das Augenmerk vermehrt auch auf dem der „Opfer“ gelegt werden würde (vgl. Ulf Preuss-Lausitz 2006, S. 59).
Preuss-Lausitz, U. (2006). Gewalterfahrung und Gewaltprävention. Die Deutsche Schule, 98, H1.