Dem Erfolg der japanischen Schüler wird häufig als Kehrseite ein Leistungs-, Prüfungs- oder Examensdruck gegenübergestellt (Toshiko 2005, S. 186). Die japanische Schule ist zwar demokratisch orientiert, aber trotzdem ist sie gesellschaftlich sehr selektivierend. Es gibt während der neunjährigen Schulzeit keine Leistungsdifferenzierung, dennoch ist die Abschlussprüfung bei der es dann schon Noten gibt sehr ausschlaggebend für den weiteren beruflichen Werdegang. Dies erhöht den Leistungsdruck der Schüler extrem (vgl. Toshiko 2005, S. 186). Aufgrund dieser Thematik und der erhöhten Gewaltbereitschaft der Schüler in Japan wurde das „Kokoro no Kyoiku“ eingeführt. Dies bedeutet übersetzt „Die Erziehung des Herzens“. Es wird vom japanischen Staat kräftig unterstützt.
Es soll den Kindern Werte vermitteln, die dem Wandel der Zeit nicht unterliegen wie z.B.: Menschlichkeit, Sinn für Gerechtigkeit und Recht, Selbstbeherrschung, Zusammenarbeit mit anderen, Rücksichtnahme, respektieren der Menschenrechte sowie Liebe zur Natur (Toshiko 2005, S. 187).
Der Anstieg der Jugendkriminalität im letzten Jahrzehnt und besonders ein erschütterndes Jugenddelikt aus dem Jahre 1997 waren für den Ausbau der Moralerziehung verantwortlich.
Ein 14-jähriger hatte mehrere Attentate an Kinder begangen. Im März hatte er ein Mädchien ermordet, ein anderes auf offener Straße verwundet und im Mai den abgetrennten Kopf eines dritten Opfers am Eingangstor seiner Schule aufgestellt (Toshiko 2005, S. 188f). Als man den Schüler nach den Gründen seiner Tat fragte, sagt er, dass er Anerkennung von der Gesellschaft und Rache an seiner Schule als Gegenstand seiner Abscheu haben wollte (vgl. Toshiko 2005, S. 189).
Gründe für die Krise können sein: Die Schwächung der zwischenmenschlichen Beziehungen, der Examendruck und die mangelnden Erfahrungen an der Natur.
Aus diesem Grund wurde 1999 ein Heftchen mit dem Namen „Notizbuch für die Familienerziehung“ an Eltern von Kleinkindern verteilt. Es wurde auch der Appell gestartet, dass Zeichentrickfiguren Regel des Lebens erzählen sollten. (vgl. Toshiko 2005, S. 190).
Im April 2002 erhielt jedes schulpflichtige Kind im Alter zwischen 6 und 15 Jahren ein „Heft des Herzens“ (Toshiko 2005, S. 190). Kinder sollten in diesem Heft nicht nur lesen, sondern in das Heft auch eintragen was sie spüren und meinen. Das „Heft des Herzens“ soll jedem Schüler den Weg zum Lernen aus eigenem Antrieb weisen und als Brücke zwischen Schule und Familie dienen. (vgl. Toshiko 2005, S. 191). Auf dem Titelblatt schwebt ein Mädchen und ein Knabe das „Heft des Herzens“ an die Brust gedrückt mit entzückender Miene in der Luft. (Toshiko 2005, S. 191).
Am Anfang steht der Vorsatz: „Ich lüge nicht“. Darauf folgt eine illustrierte Erzählung, in welcher der Protagonist wegen einer Lüge in einer trüben Stimmung bleibt, bis er durch das Geständnis seines Geheimnisses von dieser Stimmung befreit wird. Für gut gehalten werden die Abwesenheit eines Geheimnisses (das stillschweigend mit einer Lüge gleichgesetzt wird) und die freudige Stimmung als deren Folge (Toshiko 2005, S. 192).
Die Erziehung des Herzens als Einwirkung auf dieses Organ soll daher nicht vernunftmäßig sondern gefühlsmäßig vonstatten gehen (Toshiko 2005, S. 193). Die Moralerziehung soll ein offenes Ende haben. Es soll auf Vorbilder aufbauen, aber diese nicht nachahmen. Die Moralerziehung soll die Schüler auf das Leben vorbereiten und die obengenanten Werte einprägen. Es ist aber mit dem Heftchen alleine nicht möglich, denn hier kann man auch wieder eine Scheinwelt aufbauen. Ein Beispiel eines Mädchens verdeutlicht dies. Es tötete ein anderes Mädchen, nachdem es drei Wochen zuvor einen guten Aufsatz über den Wert des Lebens in das Heftchen des Lebens geschrieben hat. (vgl. Toshiko 2005, S. 193f).
Es ist auch so, dass wenn jemand ein Geheimnis hat, dies auch vor dem Heftchen verbergen will und daher seine Einträge dahingehend fälschen wird.
Toshiko, Ito (2005). Das Herz als Hoffnung - Moralerziehung im heutigen Japan. Die Deutsche Schule. Zeitschrift für Erziehungswissenschaft, Bildungspolitik und pädagogische Praxis. S. 186-196.