Pädagogische Fachzeitschriften 2002

August Flammer & Yuka Nakamura

An den Grenzen der Kontrolle

 

Funktionalität der Kontrolle 

Kontrolle haben: Macht besitzen, ein bestimmtes Ereignis oder eine Klasse von Ereignissen herbeizuführen, aufrechtzuerhalten oder zu vermeiden. Handlungserfolg setzt Kontrolle voraus, Handlungsinitiative und Durchhaltewille benötigt Kontrollüberzeugung. Kontrollüberzeugungen als wichtige Basis für Optimismus und steigern das allgemeine Wohlbefinden, vermuten Flammer & Nakamura (2002, S. 84) sowie andere Autoren. Selbst für psychisch stabile Menschen bedeutet es hingegen Stress, wenn ihnen plötzlich die Kontrolle über ein Ereignis aus der Hand genommen wird und sie zum Spielball der Ereignisse werden. Vom einen Augenblick auf den anderen liegt ihr Schicksal nun nicht mehr in den eigenen Händen, sondern es wird durch Entscheidungen anderer bestimmt. Ein solcher Kontrollverlust löst Angst, Wut und Widerstand aus und wenn es nicht gelingt, die Kontrolle zurückzugewinnen, schlägt die Frustration in Hilflosigkeit und Resignation um.

Probleme der Kontrollierenden

Je mehr Kontrolle ein Mensch hat, desto zufriedener, gesünder und stressfreier ist er, wenig Kontrolle kann zum Leiden führen -> gelernte Hilflosigkeit.

Konsequenzen in vier Kategorien zusammengefasst:

Nicht durch Erfahrung der Nichtkontrolle kommt es zu Hilflosigkeitserscheinungen, sondern durch die persönliche oder universelle Interpretation (was andere nicht können, muss ich auch nicht können). Kurzfristige Unfähigkeit setzt einem wesentlich weniger zu als bleibende Unfähigkeit. Hilflosigkeit im speziellen oder nicht wichtigen Bereich weniger folgenschwer als im globalen. Viele Dinge, die für einzelne Menschen bzw. für alle nicht kontrollierbar sind. Je wichtiger diese Dinge sind, desto schmerzlicher empfinden wir unsere Hilflosigkeit (Invalidität, Krankheit etc.) (vgl. Flammer & Nakamura 2002, S. 87).

Indirekte Kontrolle

Bedeutende Ereignisse werden durch andere Personen kontrolliert. Form durch Bezahlung: Geld ist zentrales Mittel von indirekter Kontrolle (vgl. Flammer & Nakamura 2002, S. 88).

Sekundäre Kontrolle

Bei Misslingen von Kontrollversuchen verändern wir Ansprüche, dass sie befriedigt werden können, vermuten Flammer & Nakamura (2002, S. 88) mit zahlreichen anderen Autoren. Wenn etwas anders kommt, als wir es eigentlich wollten, können wir uns zurechtfinden, dass wir uns einreden, dass dieses Ereignis besser ist als das was wir angestrebt haben (vgl. Flammer & Nakamura 2002, S. 89).

Altern

eigene Kapazitäten nehmen ab; Grenzen kann man leichter akzeptieren, wenn daneben noch kontrollierbare Bereiche bleiben, sekundäre Kontrolle immer aktueller (vgl. Flammer & Nakamura 2002, S. 89).

Im Durchschnitt neigen Menschen zur Überschätzung ihrer Kontrolle. Depressive Menschen unterschätzen ihre Kontrolle. Kinder überschätzen stets, hätten sonst gar nicht die Motivation für immer wieder neue Versuche, die Überschätzung nimmt im Laufe der Zeit ab, doch bis ins hohe Alter tendenzmäßige Überschätzung bei Mehrheit der Bevölkerung (vgl. Flammer & Nakamura 2002, S. 90).

Negative Folgen können auch sein, dass „Kontrolle um jeden Preis“ die Flexibilität und Fähigkeit, sich neu zu orientieren beeinflusst. Sozialer Ausgleich und Kompromiss erfordert Verzicht auf Kontrolle (vgl. Flammer & Nakamura 2002, S. 91).

Probleme mit der Konzeptualisierung von Kontrolle

Bereichsspezifität

Nichtkontrolle einzelner Bereiche sind für einzelne Personen nicht schmerzhaft, weil sie diesen gar nicht kontrollieren wollen (könnten aber diese Wichtigkeit der nicht kontrollierten Bereiche herunterspielen) (vgl. Flammer & Nakamura 2002, S. 92).

Kontrollillusionen

Unklar was optimales Maß an Überschätzung darstellt, zu große Überschätzung kann auch das Gegenteil bewirken (vgl. Flammer & Nakamura 2002, S. 93).

Sekundäre Kontrolle

Es bestehen unterschiedliche Auffassungen; am sparsamsten zusammengefasst: Problemlösen, Umdeutung und Umbewertung, Verunsicherung und Vermeidung (Flammer/Neuenschwander/Grob 1995 nach Flammer & Nakamura 2002, S. 93f).

Kulturelle Unterschiede

Westliche Zivilisation: üben mehr primäre Kontrolle aus.

Östlich-asiatisch: mehr sekundär (vgl. Flammer & Nakamura 2002, S. 94).

Menschenbild und existenzielle Annahmen

Bedingtheit von Kontrolle

Kontrolle als relativ stabile Fähigkeit des Menschen, jedoch soll man die vielen notwendigen Bedingungen dafür angemessen anerkennen (vgl. Flammer & Nakamura 2002, S. 100).

Kontrolle als Bedingung für Wohlbefinden?

Andere Quellen von persönlichem Wohlbefinden: Glück und Zufriedenheit nicht in äußeren Bedingungen sondern in der inneren Haltung. Auch Kontrollverlust kann manchmal positive Folgen haben (z.B. traumatische Erlebnisse) (vgl. Flammer & Nakamura 2002, S. 103f).

Quelle

Flammer, A. & Nakamura, Y. (2002). An den Grenzen der Kontrolle. Zeitschrift für Pädagogik 44. Beiheft, 02, 83-107.


Zum Inhaltsverzeichnis




Aus Pädagogischen Fachzeitschriften ...

impressum stangl.eu