Manfred Lüders
Laut der evolutionären Pädagogik findet man in der traditionellen Pädagogik 2 Arten teleologischen Denkens: Die Pädagogik vom Kinde und von der Gesellschaft aus. Bei der ersten ist das Ziel (Telos) die Autonomie des Kindes, bei der zweiten die Gesellschaft durch gut erzogene Kinder überlebensfähig zu machen. Die evolutionäre Pädagogik kritisiert daran dass „die Frage wie welche Erziehungsmittel zur Erreichung der jeweils gesetzten Ziele beigetragen bzw. was die Zweckmäßigkeit bestimmter Erziehungs- und Unterrichtsmethoden ausmacht“ (Lüders, 2004, S 238) bisher nicht ausreichend beantworten werden konnten. Dies soll jedoch durch evolutionstheoretische Prozesse möglich werden.
Die Systemsoziologie rechtfertigt die Übernahme der drei Kategorien vom naturwissenschaftlichen Bereich in den soziale Bereich mit 3 Überlegungen:
In der Systemsoziologie werden also soziale Systeme als autopoietisch angesehen, das bedeutet dass die Kategorien Variation, Selektion und Stabilisierung nur auf systeminterne Ereignisse (kommunikative Akte) angewendet werden können während die Umweltbeziehungen (z.B. im Unterricht) mit anderen Konzepten erklärt werden müssen.
Im Gegensatz dazu geht die evolutionäre Pädagogik und Didaktik nicht davon aus dass soziale Systeme autopoietisch sind. Sie sieht die evolutionäre Entwicklung dadurch gegeben dass sich soziale Systeme durch unterschiedliche Angebote, eben ein System und dessen Umwelt (Unterricht), nach den bekannten 3 Evolutionskategorien verändert.
In evolutionären Pädagogik geht es darum Individuen (Schüler) auf Aufgaben und Probleme die sie in der Gesellschaft erwarten vorzubereiten um so sowohl das individuelle Überleben als auch das Überleben der ganzen Gesellschaft zu sichern.
Dies soll dadurch gelingen dass man die Schüler durch unterschiedliche Sinnangebote mit Variation konfrontiert und sie dazu bringt diese Informationen zu verarbeiten (selektieren) wobei sie bereits ein gewisse Risiko tragen, nämlich falsche Informationen zu verwerten.
Um die Wahrscheinlichkeit zu steigern dass lernen überhaupt passiert sind 2 Dinge wichtig: Dass das Sinnangebot dem Schülerniveau angepasst wird d.h. nicht zu vertraut aber auch nicht zu fremd und dass der Schüler eine ständige Leistungsbewertung erhält was den Anpassungsdruck erhöht.
Ein weiteres Argument ist dass durch die Gestaltung des Unterrichts nach evolutionistischem Vorbild die Schüler die Mechanismen der Evolution selbst verstehen und mit ihren 3 Kategorien umzugehen lernen. Allerdings kann der Schüler in der Schule nicht wirklich scheitern sondern nur symbolisch.
Der erste Kritikpunkt sagt dass die evolutionstheoretische Pädagogik ihrerseits handlungstheoretische Erklärungen benötigt (zum Beispiel die Auswahl des Sinnangebots anhand des Schülerniveaus) die ja eigentlich durch die evolutionstheoretischen erklärt werden sollten.
Ein weiterer Einwand ist, dass der evolutionären Pädagogik nach das Verhalten der Lehrer und Schüler, bzw. die eingesetzten Lehr-Lern-Methoden keinen Unterschied auf die Lernergebnisse haben. Dies ist jedoch durch Studien und Analysen bereits belegt.
Der letzte Einwand kritisiert dass nach der evolutionären Pädagogik kognitive Strukturen der Schüler bzw. persönliche Neigungen, Interessen, Ängste usw. keinen Einfluss auf das Lernen haben.
Lüders, M. (2004). Können Lehr-Lern-Prozesse im Unterricht evolutionstheoretisch erklärt werden? In Baumert, Gogolin, Krüger & Lenzen (Hrsg.), Zeitschrift für Erziehungswissenschaften (S.235-247). Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften.