Pädagogische Fachzeitschriften 2006

Stöckli Georg

Schüchternheit in der Schule 

Der Begriff Schüchternheit

Leary und Kowalski (1995) definieren die Schüchternheit als Verbindung zweier Elemente, der sichtbaren Seite und verdeckten Seite. Die sichtbare Seite umfasst die beobachtbare Verhaltenshemmung einer Person, die verdeckte Seite umfasst den Bereich der sozialen Ängstlichkeit. Soziale Ängstlichkeit zeigt sich darin, dass Betroffene Situationen meiden, in denen sie ein persönliches Ungenügen erfahren könnten. Beobachtbare Schüchternheit äußert sich durch Kontaktvermeidung und Isolation.

Fremdeinschätzung versus Selbsteinschätzung

Eine Studie von Evans (2001) zielte auf die Frage ab, wie in der Schulumgebung wahrgenommene Schüchternheit mit individuell erlebter sozialer Ängstlichkeit übereinstimmen. Es wurde empirisch belegt, dass nicht hinter jeder beobachteten Schüchternheit auch eine soziale Ängstlichkeit steckt und umgekehrt.

Studie zur Fremdbeobachtung

Die vorliegende Untersuchung zielte auf die Fremdbeobachtung bezüglich Schüchternheit im Schulbereich ab. Als Methode wurde eine Stichprobe von 227 Schülern (114 Mädchen, 113 Jungen) aus zehn Klassen der vierten Klasse Grundschule herangezogen. Während der schriftlichen Schülerbefragung füllten auch die Lehrpersonen für jeden Schüler einen Beurteilungsbogen über Persönlichkeitsmerkmale und Begabung aus. Jeder Schüler beurteilte die Klassenkollegen bezüglich unterschiedlicher Aussagen und nannte drei Personen die er besonders mag und drei die er nicht besonders mag.

Die Ergebnisse der Fremdbeobachtung

Die Übereinstimmung zwischen der Beurteilung der Lehrer und der Schüler hat gezeigt, dass die gleiche Fremdwahrnehmung von schüchternem Verhalten vorliegt. Trotz der Übereinstimmung bezüglich der Schüchternheitsmerkmalen lag die Quote der Schüchternen der Peers hinter der Quote der Lehrer. Das könnte dadurch zu erklären sein, dass sich einige Schüler nur im Beisein des Lehrers gehemmt fühlen.

Geschlechterspezifische Ergebnisse zur Schüchternheit

Die Ergebnisse zeigten, dass 15% von der Klasse als mehr oder weniger schüchtern bezeichnet wurden, gleichverteilt auf Jungen und Mädchen. Wobei die selbstberichtete soziale Ängstlichkeit der Mädchen stark über dem angegebenen Wert der Jungen lag. Überraschend war, dass überdurchschnittliche Schüchternheit nur bei Jungen von Bedeutung ist. Nach der Beurteilung der Lehrkräfte, erkannten sie bei zurückhaltenden Mädchen keine besondere Schüchternheit, da diese Eigenschaft eher dem weiblichen Geschlecht zugeschrieben wird.

Durch Schüchternheit zum Außenseiter

Plausibel ist, dass  sich schüchterne Schüler nicht durch soziale Initiative in den Vordergrund stellen, da sie generell unauffälliger agieren. Oft fällt Schüchternheit jedoch negativ auf und Schüchterne werden zu Abgelehnten. Bei den Wahlen der beliebten und unbeliebten Schüler ergaben sich vergleichsweise wenige Wahlen für die schüchternen Klassenkollegen.

Die Auswirkungen von Schüchternheit auf die Leistungsbeurteilung

Im Schulalltag besteht für schüchterne Schüler die Gefahr, dass durch ihre Zurückhaltung reduzierte Leistungsurteile und Fähigkeitseinschätzungen entstehen.  Die Studie hat gezeigt, dass in vielen Fällen nicht schüchterne, nicht ängstliche Schüler die besten Leistungsergebnisse erzielten, währenddessen Schüler mit erhöhter Schüchternheit und/oder sozialer Angst im Vergleich dazu ungünstigere Bewertungen erhielten.

Quelle

Stöckli, G. (2004). Schüchternheit in der Schule. Psychologie in Erziehung und Unterricht, 51, 68 – 81.


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